Friedrichshafen
Aus Buchhorn wird Friedrichshafen
Buchhorn, mit 450 Einwohnern eine der kleinsten Reichsstädte, bestand bis 1811 und schlug nach seiner Umbenennung in Friedrichshafen einen ganz anderen Weg der städtischen Entwicklung ein als zuvor. Am Ende dieser fast neun Jahre währenden Phase der territorialen Neubesetzung und Umgestaltung (Bayern und Württemberg als neue Herren Buchhorns; Nassau-Oranien, Österreich und Württemberg bezüglich Kloster und Dorf Hofen) stand die Gründung von ‚Schloss und Stadt Friedrichshafen‘ am 17. Juli 1811. Die politischen Entscheidungen in der neuen Stadt Friedrichshafen traf nun ein Oberamtmann in Personalunion als Stadtschultheiß und Hafendirektor. Dieser war auf Lebenszeit sowohl für die politischen als auch für die wirtschaftlichen Belange der beiden Freihäfen in Buchhorn und Hofen zuständig.
König Friedrich von Württemberg stieß unter Verwendung seines Namens eine klassizistische Stadtneugründung an. Diese Neugründung zeigt sich noch bis heute entlang der Planungsachse, der Friedrichstraße. Friedrichs Sohn Wilhelm I. baute dann zwischen 1824 und 1828 das ehemalige Priorat Hofen als königliche Sommerresidenz zum Schloss aus. Seit dem Übergang des Schlosses an das Haus Württemberg 1838, vor allem aber während der Regentschaft König Karls, kamen zahlreiche angesehene Gäste des Königshauses aus dem In- und Ausland nach Friedrichshafen, darunter das russische Zarenhaus, die badischen Großherzöge, die Grafen Zep-pelin oder der Schriftsteller Felix Dahn. Mit der Verlegung der Sommerresidenz nach Friedrichshafen wurden Behörden und Verwaltungseinrichtungen (z. B. Hofdomänen und -forstamt, Post- und Zollämter, Bahnhöfe, Hafenbehörden usw.) eingerichtet oder ausgebaut.
Mit der Einführung der Dampfschifffahrt auf dem Bodensee durch das 1824 von Edward Church (USA) konstruierte Dampfschiff ‚Wilhelm‘ (spöttisch ‚Seeschneck‘ gannnt) wurde Friedrichshafen unter der Regentschaft Wilhelms I. zu einem bedeutenden Handels- und Verkehrshafen. Zehn Jahre später verzeichnete die Stadt einen Bevölkerungsanwuchs auf 1111 Einwohner. Gleichfalls verhalfen auch der Ausbau der Südbahn, die Einrichtung eines Eisenbahn-Ausbesserungswerks (1848) sowie die Anlage des Stadtbahnhofs (1847) und des Hafenbahnhofs (1850) der Stadt zu einem deutlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Die von John Scott-Russell (Großbritannien) entworfene Trajektfähre, im Volksmund ‚Kohlenfresser‘ oder ‚Leviathan‘ genannt, besaß seit 1869 ihren Heimathafen in Friedrichshafen. Sie war das größte Schiff, das jemals den Bodensee befuhr, und konnte als mit Schienen bestückte Dampffähre Eisenbahnwaggons von Friedrichshafen nach Romanshorn (Schweiz) transportieren.
Neben der um die Jahrhundertmitte aufkommenden Industrie entwickelte sich der Tourismus zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor der Stadt. Das Nebeneinander beider unterschiedlicher Wirtschaftssegmente stellt bis heute eine regionale Besonderheit dar. 1871 verzeichnete Friedrichshafen bereits 2 827 Einwohner und war damit die Stadt mit der höchsten Zuwachsrate Oberschwabens. Die in immer größeren Massen an den Bodensee strömenden Touristen nannten Friedrichshafen mitunter das ‚Schwäbische Nizza’, dessen Flair vor allem von der königlichen Sommerresidenz und der reizvollen Landschaft ausging. Es gab aber auch Brüche: Während Adel und Bürgertum am Seeufer flanierten, im Kurhaus saunten oder mit Yachten den See befuhren, kamen ab 1891 vermehrt verarmte Kinder aus dem Alpenraum nach Friedrichshafen, um den umliegenden Landwirten ihre Arbeitskraft als Hütebube oder Dienstmädchen anzubieten.
Ferdinand Graf von Zeppelin (1838 - 1917) schuf nach dem Erstaufstieg seines Luftschiffs (1900) in Schnetzenhausen-Manzell aus den finanziellen Mitteln der Echterdinger Volksspende (1908) den Zeppelin-Konzern. Aus diesen Anfängen resultiert bis heute die Vielfalt der Friedrichshafener Großindustrie. Graf Zeppelin wollte die Luftschiffe hauptsächlich militärisch nutzen und bot sie Heer und Marine zu Aufklärungs- und Kriegszwecken an. Friedrichshafen galt zudem mit seiner Flugzeug-Produktion (Theodor Kober, Claude Dornier) als wichtiger Rüstungsstandort. Die Stadt wurde im November 1914 von feindlichen Flugzeugen aus der Luft angegriffen, wobei das erste Luftkriegsopfer auf deutschem Boden zu beklagen war. Ein Jahr darauf gründeten die Bodensee-Anrainerstaaten Baden, Württemberg, Bayern und Österreich-Ungarn eine ‚Bodensee-Flottille‘ nicht nur aus Wasserfahrzeugen, sondern auch aus Flugabwehr-Kanonen, Beobachtungs-Türmen und Flugzeug-Landeplätzen, um feindliche Spionagetätigkeiten hinsichtlich der Zeppelin-Industrie zu vereiteln.
Die Arbeiterschaft Friedrichshafens stieg während des Krieges innerhalb weniger Jahre auf über 8.000 Werktätige an und begann, sich gegen Kriegsende immer stärker politisch zu organisieren. Am 22. Oktober 1918 kam es zu einer großen Friedensdemonstration der Arbeiterschaft und der Bevölkerung. Nach Kriegsende stellten die Zeppelin-Unternehmen meist zivile Produkte her. Der Luftschiffbau blieb jedoch weiterhin Markenzeichen der Stadt, auch wenn die Luftschiffproduktion aufgrund von Untersagungen des Versailler Vertrags in den ersten Jahren der Weimarer Republik zum Erliegen kam. In die Amtszeit (1920 bis 1933) des Stadtoberhauptes Johannes Schnitzler fiel der Bau der St. Canisius-Kirche, der Volksschule und der Leichenhalle am Hauptfriedhof, sowie die Erweiterung städtischer Einrichtungen wie Karl-Olga-Krankenhauses, Gaswerk, Hafenbahnhof, Strandbad und Stadtgarten. Friedrichshafen kam durch Kredite der Zeppelin-Stiftung, die Zeppelin-Industrie mit öffentlichen Subventionen und Großaufträgen relativ gut durch die Weltwirtschaftskrisen der frühen und späten Zwanzigerjahre.
Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 blieb die NSDAP bei den Reichstagswahlen in Friedrichshafen am 5. März 1933 mit knapp 32 % der Stimmen zwar noch zweitstärkste Kraft (hinter der Zentrumspartei mit 38 %); die politischen Verhältnisse in Friedrichshafen passten sich den nationalsozialistischen Vorgaben jedoch schnell an. Friedrichshafen wurde verstärkt zur Rüstungs- und Festungsstadt (Flakkaserne 1937) ausgebaut. Die Grenzkontrollen zur Schweiz und nach Österreich wurden nun deutlich verschärft und durch zusätzliches Grenzpersonal aufgestockt, so dass für Verfolgte und Regimegegner (z. B. KPD-Gruppe um Stefan Lovász, Fridolin Endraß, Georg Elser) eine Ausreise fast unmöglich war. Die massive Aufrüstung und ein anhaltender Siedlungsbau für die wachsende Industriearbeiterschaft waren schon Vorboten des vom ‚Dritten Reich‘ angefachten Zweiten Weltkriegs. Elf Fliegerangriffe zerstörten Friedrichshafen bis zum Februar 1945 zu ca. 60 %. Über 14.000 Zwangsarbeiter und vier KZ-Außenlager (Friedrichshafen-Werftgelände, Oberraderach, Überlingen-Aufkirch und Saulgau) bilden nur einen Teil der brutalen Politik der Nationalsozialisten in Friedrichshafen.
Zeitzeugen erinnern sich an Luftangriffe
Am 28. April und 20. Juli 1944 fanden ein britischer Nachtangriff und ein Tagangriff der U.S.-Luftstreitkräfte statt. In Friedrichshafen wurden Wohngebiete und Industrieanlagen zerstört, die Angriffe forderten zahlreiche Todesofper. Zeitzeugen erinnern sich in dem Beitrag der Regio-TV-Sendung 47 NEUN an die Angriffe.
Neuaufbau und Lebenswelt
Der Wiederaufbau Friedrichshafens nach dem Zweiten Weltkrieg kam zunächst nur schleppend voran. Im Vordergrund stand die Enttrümmerung der Altstadt. Der eigentliche Neuaufbau, d. h. der Verzicht auf einen Wiederaufbau historischer Gebäude zugunsten von Abriss und zeitgemäßen Neubauten, kam mit der Währungsreform 1948 in Gang: Von 1949 bis 1958 wurden 2.812 Gebäude bzw. 5.159 Wohneinheiten für rund 20.000 Menschen geschaffen. Im Jahr 1961 besaß Friedrichshafen mit 36.000 Einwohnern bereits die Hälfte aller Bewohner des Kreises Tettnang. Die erste Großveranstaltung nach dem Krieg war die „Kulturwoche“, die 1948 rund 90.000 Besucher anzog, davon 22.000 aus der Schweiz. Die erste Messe fand 1949 noch auf dem Gelände der Pestalozzi-Schule statt. Kultur und Bildung – Messe, Veranstaltungen von der „Kulturwoche“ bis zum „Kulturufer“ (seit 1985), das „Kultur- und Congress-Zentrum“ Graf-Zeppelin-Haus (seit 1985) oder die Zeppelin Universität (2003) – bilden mittlerweile, neben Industrie und Tourismus, die dritte Säule der Friedrichshafener Lebenswelt.