Stadtarchiv wertet Totenlisten der Opfer neu aus
Die bislang letzte Auswertung liegt bereits einige Zeit zurück und konzentrierte sich im Wesentlichen auf das engere Stadtgebiet. Sie wurde vorgenommen, als die von Karl Fränkel gestifteten Gedenkstelen beim Kriegerdenkmal aufgestellt wurden. Seitdem ist neues Quellenmaterial hinzugekommen, das nun bewertet wurde.
Grundlage für die neue Auswertung waren die Sterberegister der Standesämter Friedrichshafen und Schnetzenhausen, Ailingen, Ettenkirch, Raderach bis zum Jahr 1973. Ergänzt wurden sie in Auszügen aus den Sterberegistern von Tettnang, Meersburg und Lindau. Hinzu kamen Friedhofslisten deutscher und alliierter Stellen, Zeitungsannoncen, Totenlisten von Kirchengemeinden katholischer wie evangelischer Konfession sowie von Ortsverwaltungen. Unterstützt und begleitet wurde das Stadtarchiv bei seiner Recherche von Dr. Christa Tholander.
Opfer des Luftkriegs
Mit Namen fassbar sind als Opfer des Luftkriegs über Friedrichshafen derzeit 739 Personen, darunter 238 Ausländer und Ausländerinnen, die als Fremd- bzw. Zwangsarbeiter oder KZ-Häftlinge eingesetzt waren. Dazu kommen 437 deutsche Zivilisten und 64 Militärangehörige.
Charakteristisch ist die Häufung von Todesopfern bei einigen besonders tragischen Ereignissen: So starben je rund 90 Menschen beim Autohaus Müller in der Friedrichstraße und auf dem Maybach-Gelände am 20. Juli 1944. Hier starb eine große Gruppe italienischer Militärinternierter. Am 3. August 1944 kamen in einer Flakstellung bei Schnetzenhausen 23 Luftwaffenhelfer ums Leben. Zahlreiche Ausländer und Ausländerinnen fanden in den Lagern auf dem Luftschiffbau-Zeppelin-Gelände den Tod.
Die Friedhofslisten verzeichnen zehn über Friedrichshafener Stadtgebiet gefallene alliierte Flieger. Größere Verluste waren in einzelnen Häusern der Nordstadt oder in der Villa Bühler-Scupin zu beklagen. Nur wenige Todesopfer gab es dagegen in der Altstadt am 28. April 1944. Es wurden nur sieben Personen registriert. „Das symbolträchtige Foto der zerstörten Altstadt, das gemeinhin für die Verheerungen des Luftkriegs über Friedrichshafen steht, täuscht in dieser Hinsicht“, so Dr. Hartmut Semmler vom Stadtarchiv Friedrichshafen.
Ausländische Opfer
Insgesamt sind rund 380 Ausländer und Ausländerinnen im Zweiten Weltkrieg in Friedrichshafen gestorben. Zu den bereits erwähnten Opfern während der Luftangriffe, gab es vor allem Tote durch schwere Krankheiten, begünstigt durch Unterernährung und mangelnde Hygiene.
Die große Zahl an verstorbenen Säuglingen und Kleinkindern erklärt sich aus den unzureichenden Lebensverhältnissen. Es gab durchaus Unterschiede bei den verschiedenen Arbeitgebern in der Behandlung der Menschen, die sich messbar in der Statistik der verstorbenen Menschen niederschlagen. Größte Einzelgruppe waren die russischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen sowie Kriegsgefangene mit 114 Toten. Sie wurden 1950 auf dem Ehrenfeld 32 des Hauptfriedhofs Friedrichshafen beigesetzt. Größte Gruppe unter den Westarbeitern bildeten die rund 90 auf dem Maybach-Betriebsgelände beim Luftangriff vom 20. Juli 1944 umgekommenen italienischen Militärinternierten, die uns bis heute nicht alle namentlich bekannt sind.
Insgesamt waren Tote aus vielen europäischen Nationen zu beklagen. Die meisten verstorbenen Westarbeiter und Westarbeiterinnen sind in den 1950er Jahren vom Ehrenfeld 19 des Hauptfriedhofs Friedrichshafen an andere Standorte im In- und Ausland umgebettet worden. Berücksichtigt wurden bei der jetzt vorgenommenen Durchsicht auch Personen, die etwa in Friedrichshafen zum Tode verurteilt, aber auswärts hingerichtet wurden. Nicht erfasst dagegen wurden Personen, die krankheitshalber in auswärtige Hospital- oder Lagereinrichtungen gebracht wurden und dort verstarben.
Militärangehörige
Rund 520 getötete Soldaten aus Friedrichshafen wurden auf den Gedächtnisstelen beim Kriegerdenkmal in den Uferanlagen erfasst. Die Recherche des Stadtarchivs ergab, dass es rund 1.200 Belege über getötete Soldaten aus dem heutigen Stadtgebiet Friedrichshafen gibt. Allein in den Sterberegistern der genannten Standesämter bis zum Jahr 1973 konnten 857 im Zweiten Weltkrieg gefallene Soldaten namhaft gemacht werden.
Viele junge Männer kamen in der Rüstungskonjunktur des Dritten Reiches von auswärts nach Friedrichshafen, um zu arbeiten und sind dann zum Militärdienst eingezogen worden. Diese listete das Standesamt aufgrund des letzten Wohnsitzes in den Sterberegistern, obwohl sie hier keine „Wurzeln“ hatten. Auch wurden zahlreiche Flaksoldaten von auswärts nach Friedrichshafen versetzt. Nicht wenige davon fielen im Luftkrieg.
Ein generelles methodisches Problem der Recherche liegt in der häufig ungleichen Schreibweise identischer Personen. Auch die Aussagekraft der Verzeichnisse war unterschiedlich: Neben den detailreichen und im allgemeinen präzisen Angaben der Standesämter, stehen solche, die nur Namen und höchstens noch das Sterbedatum enthalten. Dies erschwert den Abgleich bei häufig anzutreffenden Nachnamen. Deshalb ist der jetzt erreichte Stand lediglich ein neuer Zwischenschritt bei der Aufarbeitung des Themas.
Interessierte, die tiefer in diese komplexe, aber auch spannende Materie einsteigen möchten, können sich mit dem Stadtarchiv Friedrichshafen in Verbindung setzen. Dort können auch die Totenlisten eingesehen werden. Eine vorherige Anmeldung unter stadtarchiv@friedrichshafen.de ist notwendig.