Gestaltungsbeirat: Vom Umgang mit dem Bestand
Josef Fink berichtete über den Bildungscampus Nüziders, der Anfang der 60iger Jahre von der Architektengemeinschaft C4 gebaut und 1967 mit dem damals gerade ins Leben gerufenen Bauherrenpreis gewürdigt wurde. Das klar strukturierte, um einen Innenhof gelegene Gebäudeensemble wurde 2004 vom Bludenzer Architekten Bruno Spagolla teilsaniert und um einen Klassentrakt erweitert. Die Beauftragung für die nächste notwendige Erweiterung kam durch den Gewinn des 2017 dafür ausgeschriebenen Wettbewerbs zustande. Fink Thurnher Architekten überzeugten die Jury mit einem Entwurf, bei dem „der Campus letztendlich so wirkt, als wäre es nie anders gewesen“. Ein eindrückliches Beispiel, das zeigte, dass qualitätvolle Bauten nachhaltig sind, weil sie weiter gebaut werden.
Am Ende seines Vortrags hielt Josef Fink ein starkes Plädoyer für den verpflichtenden Gestaltungsbeirat. Unsere Nachbarn in Österreich machen vor, dass diese Forderung keinesfalls „nicht umsetzbar“ ist, sondern einhergeht mit einer qualitätsvollen Architektur und einer lebendigen und auch im Bewusstsein der Bevölkerung verankerten hohen Baukultur.
Kerstin Müller begann ihren Vortrag mit der Darstellung der Notwendigkeit einer Bauwende: Der Bausektor ist die Branche, die am meisten Ressourcen verbraucht und ebenfalls (in Deutschland) für mehr als die Hälfte des Abfallaufkommens verantwortlich ist. Die Aufgabe der nächsten Generation wird es sein, den Abfallberg, den alle vorherigen Generationen generiert haben, abzubauen. Dafür haben sie weniger Ressourcen zur Verfügung, als alle Generationen vor ihnen. Die Lösung kann nur heißen, Abfall zu vermeiden und im zirkulären Bauen, bei dem die Baustoffe von demontierten Gebäuden weiter genutzt werden.
„Die Paradigmen des Bauens werden sich ändern“, so Kerstin Müller. „Es kann auch heißen: „form follows availability (Die Form folgt der Verfügbarkeit)“. Ein eindrückliches Beispiel zeigte sie anhand eines in Basel stehenden ungenutzten Parkhauses. Unter früheren Paradigmen wäre es abgerissen worden, da es einer neu geplanten Quartiersbebauung im Weg steht. Die Stadt Basel ließ einen Bauteilkatalog des Parkhauses erstellen und schrieb einen Wettbewerb aus, bei der eine Wohnbebauung mit Bauteil-Wiederverwendung vorgegeben war.
Zum Schluss stellte Müller die These auf, wie die Berufsbilder von morgen aussehen könnten: Von der „Bauteiljägerin“ zum „Re-Use Experten“, vom „Fachplaner für zirkuläres Bauen“ zur „Bauingenieurin Rückbau zur Wiederverwendung“.
Die Vortragsreihe „Standpunkte“ wird von der Geschäftsstelle des Beirats für Architektur und Stadtgestaltung der Stadt Friedrichshafen (Gestaltungsbeirat) und der Kammergruppe Bodenseekreis organisiert. Der nächste Vortrag ist für Dienstag, 31. Januar 2023 im Graf-Zeppelin-Haus statt.
Weitere Infos unter www.friedrichshafen.de/erhaltenswert und unter www.friedrichshafen.de/gestaltungsbeirat.