Erinnerung an die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg
Je nach Schätzung sollen beim sechsten Angriff in der Nacht vom 28. April 1944 zwischen 115 und 136 Menschen umgekommen sein, namentlich identifizieren ließen sich in der im Stadtarchiv Friedrichshafen einsehbaren Totenliste bislang aber nur 100 Personen. Zum Vergleich: Beim achten Luftangriff am 20. Juli 1944 durch US-Bomber betrug die Anzahl der bekannten Todesopfer 252 Personen.
Trotz der höheren Zahl an Todesopfern am 20. Juli 1944 blieb der britische Angriff Ende April 1944 das mit Abstand wirkmächtigere Ereignis im kollektiven Gedächtnis der Stadt. Dass die Erinnerung so verzerrt ist, liegt wohl daran, dass die Stadt im April mit knapp 25.000 Einwohnern noch fast vollständig bewohnt war. Nach dem April-Angriff wurde bis zum Sommer 1944 die Hälfte der Einwohner evakuiert oder verließ die Stadt freiwillig. Gerade die Zerstörung der Infrastruktur, wie etwa Rathaus, Museen, Schulen, Krankenhaus und mehr wirkte aber im April wohl wesentlich eindrücklicher als beim Tagangriff im Juli, als die Bomben auf eine bereits zerstörte Altstadt fielen.
Viele Zeitzeugen fühlten sich in der Rolle der unschuldigen Kriegsopfer – Täter waren ausschließlich „die Briten“ oder „die Amerikaner“. Doch in den letzten Jahren und mit einer wachsenden Gedenkkultur, auch befördert durch Prozesse gegen deutsche Kriegsverbrecher, wurde der Blick auf die damaligen Ereignisse differenzierter, auch in Friedrichshafen: In den Fokus rückten beispielsweise die Schicksale der Piloten und Mannschaften der Fliegergeschwader, ebenso das Schicksal weiterer Opfer des NS-Regimes, wie etwa die massenhaft verschleppten und ermordeten KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiterinnen, Regimegegner oder aus rassistischen Gründen Verfolgte.
Arthur Harris: „Sie säten Wind, und jetzt ernten sie Sturm.“
Mit den Bomber-Angriffen wollten die Alliierten die deutsche Bevölkerung dem NS-Regime entfremden und das Ende des Zweiten Weltkriegs erzwingen. Arthur Harris (1892-1984), Oberbefehlshaber des britischen „Bomber Command“ im Zweiten Weltkrieg und Ideengeber des Flächenbombardements deutscher Städte, war für die Taktik der Bombardierung deutscher Städte maßgeblich verantwortlich: „Die Nazis gingen in den Krieg mit der ziemlich kindischen Idee, dass sie jeden anderen nach Belieben bombardieren könnten und niemand zurückbomben würde. In Rotterdam, London, Warschau und einem halben Hundert anderer Städte führten sie ihre ziemlich naive Theorie aus. Sie säten Wind, und jetzt ernten sie Sturm.“
Oft wird übersehen, dass die Nazis ihren verbrecherischen Angriffskrieg gegen bereits im Ersten Weltkrieg verfeindete Staaten oder gegen ideologische Feinde, wie die Sowjetunion, schon weit vor 1939 planten. Zur militärischen Ausführung dieser Pläne gehörte bereits die kriegsentscheidende Unterstützung der Faschisten Spaniens durch deutsche und italienische Bomber, gegen das republikanische Spanien und für die „Falange“ des Generals Francisco Franco. Die deutsche Luftwaffe übte mit der Bombardierung ganzer Städte den Ernstfall und perfektionierte den Einsatz von Flugzeug-Bombern. Die kleine baskische Stadt Guernica wurde am 26. April 1937 von der deutschen „Legion Condor“ angegriffen und weitgehend zerstört.
Die Weltöffentlichkeit reagierte mit Bestürzung, während sich deutsche Politiker und Militärkreise zufrieden zeigten. Die hier erprobten „Blitz-Raids“ kamen bereits Anfang des Zweiten Weltkriegs europaweit zur Anwendung, zerbombte Städte wie Warschau, Rotterdam, Belgrad oder Coventry stehen für diese Art moderner Kriegsführung. Gegenwehr, wo noch möglich, sollte eskalierend begegnet werden: „Und wenn die britische Luftwaffe zwei- oder drei- oder viertausend Kilogramm Bomben wirft, dann werfen wir jetzt in einer Nacht 150.000, 180.000, 230.000, 300.000, 400.000, eine Million Kilogramm. Wenn sie erklären, sie werden unsere Städte in großem Ausmaß angreifen – wir werden ihre Städte ausradieren!“ Diese Sätze stammen von Adolf Hitler, der nach dem fünften britischen Angriff auf Berlin am 4. September 1940 in einer berüchtigten und zornigen Rede den Luftkrieg rhetorisch in die Höhe schaukelte. Die Zuhörer im Berliner Sportpalast rasten vor Jubel, und auch in ganz Deutschland begeisterte Hitlers Drohung Millionen Deutsche.
Die britischen Streitkräfte erkannten sehr bald die Gefahr des Flugzeugs als weitreichendes Kriegsgerät und versuchten, nicht nur eine Invasion abzuwehren, sondern, siehe Arthur Harris, aktiv mit der Royal Air Force zurückzuschlagen. Denn in Großbritannien haben im Bombenhagel und den nachfolgenden Bränden Schätzungen zufolge immerhin rund 43.000 Menschen ihr Leben verloren. Die Erfahrungen des europäischen Luftkriegs in den beiden ersten Kriegsjahren konnten aber vor allem die US-Amerikaner mit ihren am Tag angreifenden Bomberstaffeln („Fliegende Festungen“) maximal ausnutzen.
Luftangriffe auf Friedrichshafen
Als Reaktion auf die „Baedeker-Angriffe“ der deutschen Luftwaffe gegen historische englische Städte (1942) kamen die Luftangriffe verhältnismäßig spät nach Friedrichshafen, als „wahrscheinlich wichtigste Stadt ihrer Größe in Deutschland“ (britisches Zielhandbuch vom Januar 1943). Die hochgradige Bedeutung der Zeppelin-Industrie in der Produktion von Panzermotoren, Getrieben und Flugzeugen für den Krieg war den Briten schon frühzeitig bekannt und so richteten sich deren Angriffe ausschließlich nachts gegen die Zeppelinstadt.
Zwischen 1943 und 1945 wüteten fast täglich Luftkämpfe über Deutschland, in denen hunderte Flugzeuge eingesetzt wurden. Die Überlebenschancen waren dramatisch gering: Dem Royal Air Force Museum zufolge lag das Durchschnittsalter der Besatzung eines Lancaster Bombers – der durchschnittlich 21 Missionen ausführte, bevor er verlorenging – bei 22 Jahren. Der erste Militärpilot, der in die Schweiz ausweichen wollte, ertrank im Bodensee, als sein Flugzeug abstürzte und er nicht aussteigen konnte.
Die deutsche Flugabwehr (Flak) trug dadurch, dass sie die Bomber zwang, in mehr als 6.000 Metern Höhe zu fliegen, wesentlich zur Ungenauigkeit beim Bombenabwurf bei. Dadurch vergrößerte die Friedrichshafener Heimatverteidigung, die ja ausschließlich zum Schutz der Rüstungsunternehmen eingesetzt wurde, das Leid der Zivilbevölkerung.
Eine sinnlose Anwendung der Luftkriegs-Strategie („overbombing“) der Alliierten kann für Friedrichshafen beim letzten US-Tagangriff am 25. Februar 1945 sowie bei den Tieffliegerangriffen der letzten Kriegsmonate nachgewiesen werden: „Nur diese […] Attacken lagen außerhalb jeder strategischen Rechtfertigung seitens der Alliierten.“ (Raimund Hug-Biegelmann)
Die ersten heftigen Luftkämpfe über Friedrichshafen fanden während des Tagangriffs der US Army Air Force am 18. März 1944 statt, bei dem 5.406 deutsche Abwehrschüsse gerade einmal zwei Flugzeuge zum Absturz brachten, einen bei Fischbach in den See, der andere bei Wintersulgen. Diesem „Friedrichshafen bomb run“, wie die US-amerikanische Seite diesen Angriff bis heute nennt, folgten im Kriegsverlauf noch mindestens 26 weitere Flugzeug-Abstürze im Schwarzwald, in Vorarlberg und in der Schweiz. Bis heute suchen Angehörige und Forscher nach dem Schicksal alliierter Flugzeug-Besatzungen.
Als wichtige Rüstungsstadt wurde Friedrichshafen bereits seit 1937 zu einer Luftabwehr-Festung ausgebaut, eine Flak-Garnison wurde auf der Gemarkung Fallenbrunnen stationiert. Angesichts der Bomber-Angriffe wurden dann im Sommer 1943 die männlichen Geburtsjahrgänge 1926 – 1928 der Graf-Zeppelin-Oberschule mit anderen Freiwilligen aus 56 höheren Schulen Süddeutschlands zur Flugabwehr rekrutiert. In Baracken untergebracht fand die Grundausbildung in der Flakkaserne im Fallenbrunnen statt. Gelegentlich erhielten die Schüler sogar Schulunterricht, wurden aber immer stärker an Geschützen verschiedenen Kalibers eingesetzt.
Die ideologisch angefachte Begeisterung erfuhr durch Trennung von der Familie, Schikanen der Vorgesetzten und erhöhter Lebensgefahr eine gewisse Ernüchterung. In den Flakbatterien waren bis Ende 1944 rund 2.260 Schülersoldaten im Einsatz; aus Friedrichshafen kamen 110 Schüler. Durchschnittlich waren täglich 700 Flakhelfer in den Stellungen. Beim Luftangriff vom 3. August 1944 bei Schnetzenhausen kamen 23 Schülersoldaten ums Leben. Mit dieser Art von sinnlosem Durchhaltewillen an der deutschen Heimatfront hatten Arthur Harris und der britische „Bomber Command“ zunächst sicherlich nicht gerechnet, dies trug aber dazu bei, dass der Krieg nicht nur verlängert wurde, sondern die Zahl der getöteten Zivilisten, darunter viele junge Menschen, auf allen Seiten dramatisch anstieg.
Elf Luftangriffe auf Friedrichshafen zwischen 1943 und 1945
- 20./21. Juni 1943: Britischer (RAF) Nacht-Angriff mit 59 Flugzeugen und 44-86 Toten bzw. 64-155 Verletzten.
- 07./08. Oktober 1943: RAF-Nachtangriff (15 Bomber) mit 14-18 Toten und 25-53 Verletzten.
- 16. März 1944: Tagangriff der US-Air Force (USAAF) mit 195 Flugzeugen und 27-32 Toten bzw. 37-66 Verletzten.
- 18. März 1944: USAAF-Tagangriff (189 Bomber) mit ca. 60 Toten und 52-98 Verletzten.
- 24. April 1944: USAAF-Tagangriff (211 Bomber) mit 17-30 Toten und 37-50 Verletzten.
- 27./28. April 1944: RAF-Nachtangriff (309 Bomber) mit 115-136 Toten und 220-375 Verletzten.
- 18. Juli 1944: USAAF-Tagangriff (67 Bomber) mit 1 Toten und 10-27 Verletzten.
- 20. Juli 1944: USAAF-Tagangriff (317 Bomber) mit 209-225 Toten und 94-109 Verletzten.
- 03. August 1944:USAAF-Tagangriff (410 Bomber) mit 50-66 Toten und 84-165 Verletzten.
- 16. August 1944: USAAF-Tagangriff (89 Bomber) mit ca. 7 Toten und ca. 10 Verletzten.
- 25. Februar 1945: USAAF-Tagangriff (63 Bomber) mit ca. 10 Toten und ca. 22 Verletzten.