Bundesverdienstkreuz am Bande für Christa Tholander
„Sie haben als promovierte Historikerin Ihren Blick auf die Schattenseiten unserer Geschichte gerichtet, vor allem aber auch auf die Schattenseiten der Geschichte hier in Friedrichshafen“, so Oberbürgermeister Andreas Brand.
In den Kriegswirren besuchte Christa Tholander sechs verschiedene Volksschulen, machte die Mittlere Reife am Gymnasium in Oberhausen und arbeitete dann fünf Jahre als städtische Bedienstete im Amt für Wiedergutmachung in Oberhausen.
1959 ging sie als Au Pair nach London zu einer jüdischen Familie mit deutschen und polnischen Vorfahren. Parallel absolvierte sie in der Freizeit eine Ausbildung zur Diplom-Dolmetscherin für Englisch.
Nach einer Ausbildung zur Stewardess bei Pan American und nach ihrer Heirat 1961, kam sie nach Friedrichshafen. Hier war sie als Nachhilfelehrerin und Übersetzerin von technischen Handbüchern tätig.
Ende der achtziger Jahre holte Dr. Tholander mit 52 Jahren das Abitur nach, studierte Geschichte und Anglistik in Konstanz und beendete ihr Magisterstudium 1996 mit der Magisterarbeit „Fremdarbeiter: Ausländische Arbeitskräfte in Friedrichshafen von 1939-1945“. Im Jahr 2000 veröffentlichte sie ihre Dissertation mit dem Titel „Fremdarbeiter 1939 bis 1945 – Ausländische Arbeitskräfte in der Zeppelin-Stadt Friedrichshafen“.
Wichtiger Beitrag für die Stadt Friedrichshafen
„Mit der Veröffentlichung der Dissertation haben Sie eine für die Stadt Friedrichshafen wichtige und überfällige Publikation verfasst, die sich mit der bis dahin vernachlässigten Thematik ausländischer Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs in Friedrichshafen beschäftigt“, so Oberbürgermeister Brand.
Im Zuge dieser Forschung, so Brand weiter, hat sich Dr. Tholander nicht nur wissenschaftlich, sondern auch mit großem persönlichem Einsatz engagiert. Sie reiste zu den Zeitzeugen bis nach Polen und Belarus und interviewte dort insgesamt mehrere Dutzend Personen.
Dr. Tholander zeichnet aus, dass sie es nicht bei der wissenschaftlichen Forschung belässt, sondern sich aktiv für die Versöhnung einsetzt. Sie organisierte mehrere Besuche ehemaliger Zwangsarbeiter in Friedrichshafen und vermittelte zwischen den Friedrichshafener Großbetrieben des ehemaligen Zeppelin-Konzerns und den dort eingesetzten Zwangsarbeitern.
Immer um Ausgleich und Versöhnung bemüht
Noch heute kümmert sich Dr. Tholander um Anfragen von Nachkommen ehemaliger Zwangsarbeiter. „Mit ihrem Engagement wollen Sie Vorurteile abbauen und bemühen sich um Ausgleich und Versöhnung“, dankte OB Brand Christa Tholander.
Auch das Stadtarchiv Friedrichshafen sei durch die Forschungen in der glücklichen Lage, auf fundierte Erkenntnisse über die nationalsozialistische Zeit in Friedrichshafen zurückgreifen zu können.
Auf eine Initiative ehemaliger niederländischer Zwangsarbeiter hin wurde sie 2006 mit dem Oranier-Orden, einem Verdienstorden der Niederlande, für das Bewahren der Zwangsarbeiter-Erinnerungen ausgezeichnet.
Seit 2005 ist sie Mitglied im Verein „Dokumentationsstätte Goldbacher Stollen und KZ Aufkirch in Überlingen e. V.“ und liefert wichtige Beiträge und Anregungen für die Vereinsarbeit.
Darüber hinaus setzte sie sich für eine angemessene Gestaltung der beiden Ehrengräber 19 und 32 auf dem städtischen Friedhof ein. In diesen Ehrengräbern ruhen in Friedrichshafen ermordete, umgekommene und umgebettete Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge. Hier hat sie durch Nachforschungen und Erkundungen in höchstem Maße zur Klärung beigetragen.
Ein weiterer Erinnerungsort in Friedrichshafen ist die Präsentation „Zwangsarbeiter“ im Dornier-Museum. Zusammen mit ihrem Mann hat Dr. Tholander für das Museum die Geschichte der Zwangsarbeiter bei Dornier aufgearbeitet und Hördokumente von Zeitzeugen zusammengetragen.
Einige Zeit engagierte sich Dr. Tholander für ein Projekt der evangelischen Kirche von Hessen und Nassau, bei dem ehemalige Zwangsarbeiter in Belarus kostenlos Medikamente in Apotheken in Minsk, Brest und Witebsk erhielten.
1982 gründete sie gemeinsam mit ihrem Mann den gemeinnützigen Förderverein krebskranker Kinder Tübingen e. V. Fünf Jahre nach der Gründung konnte 1987 ein Elternhaus, wenige Zeit später auch ein Geschwisterhaus eingeweiht werden.
„Sowohl für das Geschichtsgedächtnis unserer Stadt als auch für die Versöhnungsarbeit kann Ihr Engagement nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie haben in erheblichem Maße zur Aufarbeitung der NS-Geschichte in unserer Stadt beigetragen. Darüber hinaus haben Sie sich für die Bewahrung dieser Erkenntnisse eingesetzt, die Schaffung von Erinnerungsorten mit Ihrer Arbeit unterstützt und nicht zuletzt Versöhnungsarbeit durch die Begegnung von Menschen aus einst verfeindeten Nationen geleistet“, so Oberbürgermeister Andreas Brand in seiner Laudatio. „Ich freue mich sehr, dass ich Ihnen im Namen des Bundespräsidenten das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens verleihen darf“.
Dem Dank und den guten Wünschen schlossen sich die Leiterin des Zeppelin Museums, Dr. Claudia Emmert, der Leiter des Stadtarchivs, Jürgen Oellers und der frühere Oberbürgermeister Josef Büchelmeier an. Musikalisch umrahmt wurde die Feier im Zeppelin Museum von Peter Bacsi und Alain Wozniak von der Musikschule Friedrichshafen.
Das Bundesverdienstkreuz
Der Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland wurde von Bundespräsident Heuss 1951 gestiftet. Er wird in insgesamt acht Ordensstufen an in- und ausländische Frauen und Männer für alle besonderen Verdienste um die Bundesrepublik Deutschland, zum Beispiel auch Verdienste aus dem sozialen, karitativen und mitmenschlichen Bereich, verliehen. Es sind Verdienste, die meist unter Zurückstellung der eigenen Interessen über einen längeren Zeitraum mit erheblichem Einsatz erbracht werden.